Ein Kommentar zum Ende der Transferperiode
von @borussiabarca und @maetthimoped


Heute können wir es ja sagen: Auch wir waren nicht immer komplett ohne Zweifel daran, ob Roland Virkus nicht doch frühzeitig krachend als Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach scheitert. Zu kompliziert war die Lage, in der die sportliche Leitung übernahm und zu groß die Skepsis, die ihm von Beginn an entgegenschlug.
Nicht nur die heute omnipräsenten Rollo-Memes zeigen aber, wie sich der Wind zwischen Februar und September gedreht hat: Virkus hat es seinen Kritiker*innen gezeigt. Es war richtig ihm Vertrauen und Zeit zu geben.

Die Patientin Borussia stabilisiert
Es gehörte bis vor einigen Wochen nicht allzu viel Pessimismus dazu, um angesichts einer Vielzahl von Leistungsträgern, deren Verträge 2023 ausliefen, entweder den sportlichen, wirtschaftlichen oder den totalen Crash bei unserer Borussia kommen zu sehen. Hinzu kam nicht zuletzt eine schlechte Saison, in der es deutlich zwischen Mannschaft und Trainer knirschte.
Bis zum sicheren Klassenerhalt waren Roland Virkus dabei erst einmal die Hände gebunden. Er konzentrierte sich auf den kurzfristigen sportlichen Erfolg und stellte sich vor Mannschaft und Trainer. Dabei wirkte er in der öffentlichen Präsentation nicht immer glücklich, auch wenn er in der Sache kaum Fehler machte.
Mit dem Ende der Saison fing die neue sportliche Leitung allerdings an zu gestalten: Unmittelbar nach dem letzten Spiel gegen Hoffenheim trennte sich der Verein einvernehmlich von Adi Hütter. Begründet wurde dieser Schritt inhaltlich – und genau dieser konsequente Fokus auf die Inhalte sollte die Linie der sportlichen Leitung um Virkus, Korell und Co in den kommenden Wochen auszeichnen. Adi Hütter und Borussia Mönchengladbach – das passte fußballerisch einfach nicht: Mit dieser Entscheidung zeigte sich Virkus zum ersten Mal als Funktionär mit eigenem Profil.
Nach der Trennung von Hütter und der Absage Lucien Favres legte sich Virkus schnell auf Daniel Farke als seinen Wunschtrainer fest. Die Wahl stand ganz im Zeichen der Rückkehr zum “Borussia-Weg”: Dieser sollte nicht nur in der intensiveren Pflege der Nachwuchsarbeit bestehen, sondern vor allem auch mit der Wiederentdeckung einer echten fußballerischen Identität einhergehen. Virkus hat in Daniel Farke dabei einen Trainer gefunden, der wie er von einer bestimmten Idee vom Fußball überzeugt ist und der es versteht die tägliche Arbeit an dieser auszurichten. Bei der Vorstellung des neuen Trainers Anfang Juni konnte man sehen: Da haben sich zwei Idealisten gefunden, die Fußball aus und mit tiefer Überzeugung spielen lassen wollen.
Mit dieser ersten Verpflichtung hat Borussias Sportdirektor gleich seinen wichtigsten Transfer getätigt, der unseren mehr oder weniger orientierungslosen Verein nicht nur beruhigte, sondern mit dem auch der erste Funken gezündet wurde, um ein Feuer zu entfachen. Am 4. Juni 2022 begann Borussias Reise zurück in die Zukunft.
Neue Möglichkeiten geschaffen
Im Laufe des Sommers wuchs die Euphorie zwar langsam, aber stetig: Zuerst wurde Borussias Jugendbereich neu strukturiert. Zum einen gibt es mit Mirko Sandmüller einen neuen Leiter des NLZ, zum anderen wurden die Trainerpositionen neu verteilt, wobei große Hoffnung auf Eugen Polanski ruhen. Auf Profiseite wurde nicht nur mit Ko Itakura relativ günstig ein Spieler verpflichtet, der nach seiner starken Saison auf Schalke zum heißesten Scheiß auf dem deutschen Markt gehörte, sondern mit Oscar Fraulo auch ein weiteres europäisches Top-Talent an den Niederrhein gelotst.
Auch bekannten sich mit Alassane Pléa und Jonas Hofmann zum Saisonstart zwei Spieler zu Borussia, deren Abgänge vielen schon als sicher galten. Diese Verlängerungen waren ein Zeichen der Stärke und Kontinuität: Beide Spieler verkörpern mittlerweile seit Jahren das, was Borussia eigentlich immer schon stark gemacht hat: Pléa steht als schweigender Regisseur in einer Traditionslinie mit Künstlern wie Raffael oder Juan Arango und Hofmann hat wie kaum ein anderer deutscher Fußballer ein Gefühl für den Raum und die Tiefe, das für unser Umschaltspiel so wichtig ist. Die Ergebnisse zu Beginn der Saison taten ihr Übriges, um die Richtungsentscheidungen Virkus’ erstmals zu bestätigen und die Freude bei den Fans wachsen zu lassen.
Zum Ende des Transferfensters wies der für Farkes Ballbesitzfußball grundsätzlich gut gerüstete Kader nichtsdestotrotz Schwachstellen auf: Während die Positionen in Abwehr und Mittelfeld beinahe durchgehend doppelt besetzt waren, fehlten im Angriff vor allem nach dem Transfer von Breel Embolo zu Monaco Alternativen. Ungewöhnlich lange wartete Borussia mit den letzten Transfers, um kurz vor Ende des Transferfensters noch zweimal zuzuschlagen. Dieses am Niederrhein ungewohnte Pokerspiel sollte sich lohnen.
Mit Nathan N’Goumou (klicke hier für den Scoutingbericht) holte man einen jungen Flügelstürmer aus Toulouse, der das offensive Repertoire um Fähigkeiten erweitert, die es im Kader bislang nur sehr begrenzt gibt: Seine Stärken liegen ganz eindeutig im Antritt und im Dribbling weit draußen an der Seitenlinie. Für Daniel Farke ergeben sich allein durch diese Verpflichtung einige neue Möglichkeiten: Als Breitengeber kann N’Goumou sowohl Hofmann und Scally wieder die (in der Vorbereitung bereits gesehene) stärkere Orientierung in die Halbräume ermöglichen. Auch eine Neustrukturierung der Sturmreihe ist jetzt möglich: Ist es jetzt doch vorstellbar, dass Borussia in einem 4-3-3 mit zwei Tiefe gebenden Außenstürmern und einer Anschluss zu den Achtern suchenden falschen Neun antritt – und nicht mehr nur wie bisher mit dem einzigen Tiefengeber Marcus Thuram auf der Mittelstürmerposition, der von zwei Halbraumstürmern flankiert wird.
Außerdem ist es Borussia noch am Deadlineday gelungen einen Coup mit Strahlkraft zu landen: Mit dem Ex-Dortmunder Julian Weigl holte man einen international erfahrenen, ungemein spielstarken Sechser auf Leihbasis (mit Kaufoption) von Benfica Lissabon. Das ist nicht nur deshalb so erfreulich, weil ein Weigl im besten Fußballeralter normalerweise den Anspruch hat europäisch zu spielen und sicherlich auch andere Angebote gehabt haben wird. Vor allem passt er mit seinem fußballerischen Profil aber perfekt zum “Farke-Ball”.
Borussia Mönchengladbach zeigt sich auch nach zwei Jahren ohne internationale Qualifikation als ein Klub mit genügend Strahlkraft, um nicht nur seinen Kader in wesentlichen Teilen zusammenzuhalten, sondern ihn auch gezielt zu verstärken. Ein Spieler wie Julian Weigl ist ein Bonusspieler, der unser zentrales Mittelfeld auf ein neues Level heben kann. Die sportliche Leitung hat mit geringen Mitteln ein großes Ausrufezeichen gesetzt. Chapeau!
“Don Rollo”?
Was können wir also über Roland Virkus’ ersten Sommer sagen? Er hat das gehalten, was er versprochen hat – die Rückkehr zum “Borussia Weg” wurde entschlossen in Gang gesetzt. Ruhe und Geduld haben bei Borussia wieder auf und neben dem Platz Einzug gehalten. Dass so lange keine Gerüchte kursierten, mag zwar viele auf Twitter Nerven gekostet haben, ist aber ein Zeichen für professionelles Arbeiten und Geschlossenheit, die wir vor allem in den letzten anderthalb Jahren zu oft haben vermissen lassen. Es ist nicht die schlechteste Entwicklung, wenn die vielen vermeintlichen Insider im Verein wieder zunehmend auf Granit beißen.
Virkus, der immer offen und manchen manchmal sogar zu ehrlich ist, sagte in einer der schwersten Phasen der letzten Saison: “Macht euch keine Sorgen um Borussia Mönchengladbach!” – und doch hatte jeder Sorgen. Trotzdem hat er bewiesen, dass er diese Sorgen ausräumen konnte – indem er wahr machte, was er zu Beginn seiner Amtszeit ankündigte: Er versteht sich nicht als Einzelkämpfer, sondern als Teamplayer. Er braucht die große Bühne nicht, sondern wirkt wie eine kompetente Vaterfigur, die gerade zusammen mit einer Portion Tüddeligkeit und Vereinsliebe zum absoluten Fanliebling taugt.
Ganz ehrlich: Der Schnäuzer hat einen guten Riecher bewiesen.
3 Antworten auf „Rollos erster Sommer“
Gut zusammengefasst und Rollo (ab heute: „Don Rollo“ ?) nett und kompetent charakterisiert. Danke, BorussiaExplained
Ich war jahrelang Jugendtrainer in Süchteln und habe Virkus selbst ein paar Mal bei Spielen in Mönchengladbach getroffen. Das gerne Samstags, wenn wirklich Kinderfußball angesagt war.
Er war sich dann nicht zu schade, hin und wieder mit uns zu sprechen und uns den Respekt vor der Leistung auszusprechen. Das fand ich immer sehr angenehm und ich glaube ihm wäre es äußerst recht, wenn aus diesem Dunstkreis wieder mal der ein oder andere Spieler den Durchbruch schaffen würde und wenn die Vernetzung in der Region wieder enger wäre.
Sehr gut geschrieben. 👍 Respekt.