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Fußball ist kein Armdrücken – Warum es sich nicht lohnt über Mentalität zu diskutieren

Ein Kommentar von Deniz (@DenizimHalbraum) und Florian (@borussiabarca)

Die Tage erreichte uns auf einer Social Media-Plattform eine Nachricht, als es darum ging, welche Mechanismen Borussias neuer Coach Daniel Farke in seinem Spiel benötige, um defensivstark zu sein:

Das hängt im wesentlichen von unseren Diven ab. Ob sie bereit sind oder nicht seine Philosophie von Fußball umzusetzen. Ich wünsche mir das der Kader einmal komplett auf links gedreht wird. In der letzten Saison waren mir zu viele die ihre Leistung verweigert haben.

Diese Aussage steht nur stellvertretend für andere. Wir wollen ihr auf den Grund gehen, weil diese Debatten unter den Gladbachfans in den letzten 18 Monaten häufig und kontrovers geführt wurden. Immer wieder werden Fragen gestellt wie „Haben Spieler Lust? Haben Spieler den richtigen Charakter, die nötige Einstellung und Willenskraft?“

Hängt der Erfolg einer Fußballmannschaft wirklich in diesem Maße von mentalen Faktoren ab?

Intuitiv würde wohl jede*r sagen: Ja, und warum auch nicht? Natürlich können Spieler schlechte Phasen haben, wenn sie beispielsweise mit privaten Problemen, kleineren Wehwehchen oder so etwas banalem wie schlechtem Schlaf zu kämpfen haben. Natürlich haben auch Sportler mal mehr, mal weniger viel Lust auf ihren Beruf. Natürlich schlagen sich auch die äußeren Umstände um ein Training oder ein Spiel (Tabellenplatz, Unruhe im Verein, gesellschaftliche Krisen etc.) auf die individuelle Leistung nieder.

Und natürlich ist es auch nicht falsch, wenn Fans von professionellen Fußballspielern verlangen, dass sie ihrer Arbeit nachkommen und bestmögliche Leistungen bringen. Spieler tragen eine Verantwortung für sich und ihren Körper und sind verpflichtet, nicht nur während der Trainingszeit alles für den sportlichen Erfolg zu tun. Fans dürfen also erwarten, dass die vielen kleinen Widrigkeiten des Lebens überwunden werden, wenn es am Wochenende auf dem Rasen um Punkte geht.

Das Problem ist, dass Fans und andere Beobachter*innen nur selten etwas über diese „weichen Faktoren“ hinter Leistungsschwankungen erfahren. Spieler wie Trainer reden nicht gerne über ihre allzumenschlichen Befindlichkeiten – nicht nur, weil das Scheitern wegen schlechter Tagesform ihrem Selbstverständnis als Leistungssportler widerspricht, sondern auch, weil sie in der Öffentlichkeit nicht auf besonders großes Verständnis hoffen dürfen. Gerade diese Nicht-Thematisierung öffnet Spekulationen allerdings Tür und Tor und macht eine sachliche Diskussion schwierig. Wo harte Fakten fehlen, werden Diskussionen umso schneller emotional.

Während Fans in Ausnahmefällen bereit sind einen „schlechten Tag“ zuzugestehen oder „Pech“ zu attestieren, wird die Kritik bei einer Häufung von Niederlagen oder ausbleibenden Leistungen schnell harsch und grundsätzlich: Die Spieler spielen dann entweder gegeneinander oder gegen den Trainer; sie sind mit Gedanken woanders, womöglich bei einem neuen Verein, wo sie mehr Geld verdienen (denn darum ginge es am Ende ja eh immer); sie haben schlichtweg keine Lust, ein Einstellungsproblem und sind charakterlich ungeeignet. Beweise für ihre vernichtenden Urteile meinen Beobachter*innen unter anderem in der Körpersprache der Spieler finden zu können, die man vom Tribünenplatz oder vom heimischen Sofa aus analysiert haben will. Andere Themen, die in diesem Zusammenhang erfahrungsgemäß immer irgendwann aufkommen, sind die angeblich zum Scheitern verurteilte Zusammensetzung der Mannschaft entlang von Sprachen und Nationalitäten (Stichwort „Grüppchenbildung“), wobei gerne eine Gruppe einseitig verantwortlich gemacht und gegen andere ausgespielt wird.

Die Debatte über den Ausgang von Fußballspielen wird so schnell zu einer psychologischen, moralischen, politischen Grundsatzdiskussion, deren Ausmaße selten gesund und der Sache dienlich sind. Spätestens wenn es nicht mehr um Mentalität, sondern um angeblich unvereinbare Mentalitäten verschiedener Menschengruppen geht, sollte klar sein, dass ein paar falsche Ausfahrten genommen wurden.

Warum reden wir aber überhaupt aneinander vorbei?

Der moderne Fußball ist eine Wissenschaft für sich und hochprofessionalisiert. Dieser Grad der Professionalisierung macht es nicht ohne Weiteres möglich, von Alltagserfahrungen ausgehend Schlüsse zu ziehen. Das ist eine ziemlich unbequeme Wahrheit, schließlich lieben wir den Fußball unter anderem deshalb so, weil wir meinen, eine Verbindung von unserem Leben zum Geschehen auf dem Platz ziehen zu können. Nicht nur, wenn wir in unserer Freizeit selbst auf dem Platz stehen, sondern auch auf dem Sofa zuhause identifizieren wir uns mit den Profis und gehen einen emotionalen Bund mit ihnen ein. Als Fans sind wir davon überzeugt, dass wir grundlegende menschliche Erfahrungen mit den Spielern teilen und uns in ihre Situation hineinversetzen können. Deshalb erscheint es uns angebracht unsere alltagssprachlichen Kategorien an die Leistung der Profis anzulegen.

Wir müssen allerdings einsehen, dass Hochleistungssportler eine andere, teilweise akademische Sprache sprechen, die für uns nicht ohne Weiteres verständlich ist. Eine Ahnung davon hat eine breitere Öffentlichkeit bekommen, als ein Video von Nürnbergs Trainer Klauß viral ging, in dem er auf eine Reporterfrage mit einer rein fachlichen Erklärung reagierte und dabei Begriffe benutzte, die den meisten Fußballfans wie aus einer Fantasiesprache entspringend vorkommen mussten.

Es ist nachvollziehbar und total okay, dass dieses Video für Erheiterung gesorgt hat. Häme über die angebliche Verkopfheit oder Weltfremdheit eines professionellen Fußballtrainers ist allerdings unangebracht, schließlich gibt es bei der Begegnung von Beobachter*innen und Profis nicht nur in eine Richtung Verständnisprobleme.

Guckt man sich beispielsweise das zornige Unverständnis an, mit dem die BVB-Profis auf die immer wiederkehrende Frage nach der (fehlenden) Mentalität ihrer Mannschaft reagierten, wird deutlich, dass es für Fußballer nicht ohne Weiteres verständlich ist, wenn sie von Nicht-Profis nach ihrer persönlichen Einstellung gefragt werden. Ähnlich erging es dem FC Bayern unter Julian Nagelsmann (nach einem Unentschieden in der Champions League) und nicht zuletzt Pep Guardiola. Dieser darf sich seit Jahren den Vorwurf gefallen lassen, dass seine Mannschaften nicht die nötige Mentalität hätten, um den Champions League-Titel zu gewinnen. Allerdings reichten ihre Leistungen dazu, dass sie in den letzten 5 Jahren viermal die englische Meisterschaft gewannen und dabei mehrmals das Champions League-Halbfinale erreichten – so auch in diesem Jahr, als sie knapp gegen den späteren Sieger und Rekordtitelträger Real Madrid ausschieden. Guardiola reagierte nach Spielende auf die Frage nach der fehlenden Einstellung mit der Gegenfrage, ob es wirklich ein Mentalitätsproblem sei, wenn Madrids Torhüter Thibaut Courtois den Schuss von Jack Grealish, der das souveräne Weiterkommen gesichert hätte, sensationell mit der Fußspitze halte oder wenn Ferland Mendy einen Ball im letzten Moment von der Linie kratze.

Wir sehen also Unverständnis auf beiden Seiten. Wie kommt man also dazu wieder miteinander statt aneinander vorbei zu reden? Dazu sind zwei Punkte wichtig.

Zum einen müssen Profis besser erklären, was sie da eigentlich beruflich machen: Trainer und Spieler haben die Aufgabe ihr Tun in der Sprache der Fans und interessierten Beobachter*innen darzustellen. Wenn sie sich in Interviews nur noch auf Floskeln zurückziehen, müssen sie sich nicht wundern, wenn sie mit Floskeln konfrontiert werden. Sie dürfen und müssen ihrem Gegenüber mehr Interesse und Verständnis für Inhalte zutrauen.

Zum anderen müssen sich Fans auf die Tiefen des professionellen, wissenschaftlich untermauerten Fußballs einlassen und bereit sein dessen Eigenlogik zu verstehen. Selbstverständlich muss nicht jeder Fans Taktikbücher wälzen oder Spielanalysen betreiben. Es ist aber wichtig, dass auch Fans akzeptieren, dass nicht alles in Analogie zu ihrer eigenen Lebenswelt zu setzen ist. Profi-Fußball ist nicht wie das „wahre“ Leben, sondern findet in einer künstlich geschaffenen Umgebung statt, die nicht ohne Weiteres mit der Tätigkeit in einer Fabrik, einem Großraumbüro oder einer Schulklasse gleichzusetzen ist. Wenn wir uns das bewusst machen, verstehen wir vielleicht auch, warum sich die Debatten über die Mentalität seit Jahren im Kreis drehen.

Wenn wir aber nicht sinnvoll über Mentalität sprechen können – worüber dürfen wir dann noch diskutieren?

Wenn wir uns zum Beispiel darüber wundern, warum die Spieler der eigenen Mannschaft „nicht richtig in die Zweikämpfe kommen“, dann wird uns die Frage nach der Mentalität der Spieler nicht zu befriedigenden Antworten bringen. Wir werden uns zwar einige Tage darüber streiten können – am Ende sind die Antworten aber nicht mehr als Mutmaßungen.

Wenn wir uns allerdings das angucken, was da konkret auf dem Rasen passiert ist, sehen wir schon mehr: Wir sehen Grundordnungen, Zuordnungen zu Gegenspielern, Abstände zu Mit- und Gegenspielern, Muster im Spiel gegen den Ball, Strategien mit dem Ball etc. Im modernen Fußball geht es immer um genau diese Strukturen.

Ausgehend vom Verständnis für die Grundordnung sowie Rollenverteilungen kommt man so zu dem Punkt, an dem man tatsächlich über die Einzelleistung von Spieler sprechen kann: Haben Spieler ihre Rolle gut und wach ausgefüllt – oder haben sie schlecht antizipiert, wie sich Mit- und Gegenspieler bewegen? Haben sie Verantwortung für ihre Aufgabe und für ihre Mitspieler übernommen – oder haben sie es intuitiv eher vermieden Lücken zu füllen, Überzahl zu schaffen, mit Ball Dreiecke zu bilden? Passt das individual- zum mannschaftstaktischen Verhalten – oder brechen einzelne Spieler aus der Formation aus?

Wenn ein Spieler also nicht in den Zweikampf kommt und der gegnerische Spieler in seiner Nähe permanent offensiv aktiv sein kann, dann liegt das beim Blick auf das Spiel nicht in erster Linie daran, dass der Spieler keine Lust hat oder es „weniger will“: In die Köpfen können wir eben nicht reingucken. Meistens liegt es erkennbar eher daran, dass die Rollenverteilung nicht klar ist oder die gegnerische Mannschaft gut auf den eigenen Plan reagiert hat. Diese immer wieder vorkommenden Widrigkeiten erfordern schnelle individuelle und kollektive Anpassungen. Diese gelingen mal mehr, mal weniger. Verantwortung trägt dabei der einzelne Spieler mit seiner mehr oder weniger guten Tagesform, aber immer auch die Spieler in seinem Rücken, die ganze Mannschaft und letzten Endes der Trainer, der das mannschaftstaktische Verhalten koordinieren und mit individuellen Problemen, die beim „Fehlerspiel“ Fußball dazugehören, rechnen und die Lösungsfindung präventiv einüben muss.

Es muss sich also niemand sorgen machen, dass es weniger zu diskutieren gibt, wenn man das Thema Mentalität erstmal beiseitelegt. Vielmehr ist es so, dass die Versteifung auf diesen einen Faktor den Blick für die Komplexität des Fußballs versperrt und eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Sport blockiert. Wir sollten uns als Fans auf dieses schöne Chaos einlassen.

4 Antworten auf „Fußball ist kein Armdrücken – Warum es sich nicht lohnt über Mentalität zu diskutieren“

Die Leistungsbeurteilung ist hochgradig vom Ergebnis abhängig. Bei einer Niederlage liegen die Einzelkritiken grundsätzlich 1-2 Noten niedriger als bei einem Sieg. Zweikampfquote, Passsicherheit und expected Goals, nicht entscheidend. Wenn es also man nicht gut läuft, dann ist die psycholgische Abwärtsspirale für jeden Menschen (Spieler) vorprogrammiert. Sicherheitsspiel, keine Fehler machen, kein Risiko eingehen. Oder jetzt erst recht ins falsche Risiko. Egal. Wir haben ja genug Möglichkeiten, ein Spiel und jeden Spieler statistisch exakt zu erfassen. Das hindert uns aber nicht, Spielern bei einer Passquote von 90% und Zweikampfwerten von 60% eine Note 4 zu verpassen, wenn der Erfolg nicht stimmt. Kann man da die Mentalitätsfrage bei den Kritikern in den Raum stellen?

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