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Kommentar Rund um Borussia Verschiedenes

Einer für Alle

Nach knapp acht Jahren verlässt Lars Stindl Borussia Mönchengladbach. Wir von BorussiaExplained verneigen uns vor einem großen Vorbild und einer echten Identifikationsfigur.

Lars Stindl, das fällt mir zuerst ein, kann sich herrlich aufregen. Wenn seine Halsschlagader hervorspringt, er mit der Faust in die Luft schlägt, er in den Boden tritt und sich dem Schiri mit weit aufgerissenem Mund entgegenstellt, dann ist er nicht mehr nur ein Spieler, sondern genauso auch ein Fan, der für einen kleinen Moment an der großen, weltumspannenden Ungerechtigkeit gegen seinen Herzensverein verzweifelt. In dieser Pose könnte er auch ganz vorne in der Kurve stehen. Er wäre sicher nicht der Leiseste. 

Ein Text von @borussiabarca

Die leisen Töne sind Stindl allerdings auch nicht fremd – und hallen vielleicht noch heftiger nach. Leider unvergessen ist zum Beispiel sein Interview nach dem Pokalaus bei seinem Ex-Verein Hannover 96 in der letzten Saison. Die tiefe Trauer, die wir alle spürten, trug er – stellvertretend für uns – im Gesicht und in der Stimme: Da realisierte gerade einer, dass eine der seltenen Titelchancen für Borussia, aber auch für ihn persönlich, zerschellt war. Stindl hatte ein Gefühl für Borussias Seele und wie wir, aber in aller Öffentlichkeit trug er manchmal schwer an ihr. 

Ebenso wenig plakativ wie am Spielfeldrand, aber genauso deutlich und stets engagiert bezog Borussias Capitano auch zu gesellschaftlichen Themen Stellung. So stellte er sich als einziger Fußballprofi in einer Podcastreihe des Deutschlandfunks eine Diskussion zur skandalösen WM in Katar. 

Dabei zeigte er sich als gewissenhafter Vermittler: Er warb einerseits für Verständnis für seine Kollegen und gab ehrliche Einblicke in den auch von Zwängen und Ängsten geprägten Alltag von Fußballprofis. Andererseits ließ er keinen Zweifel daran, dass er nicht nur die Vergabe der WM, sondern auch viele andere Entwicklungen im modernen Fußball für falsch hielt. 

Diese Haltung zwischen Kritik und Loyalität zu seinen Kollegen macht beispielhaft deutlich, welch hohen Stellenwert Verantwortung für ihn hat: Bedeutet diese zu übernehmen doch gerade nicht, sich zum weißen Ritter zu erklären und von allem um sich herum zu distanzieren. Sondern: Da sein, Präsenz zeigen, sich nicht verstecken. Am Ende zu seinem Wort stehen.

Neben und auf dem Platz.

Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht Jahre lang.

In dieser Zeit bewies Stindl, der nicht mit besonderer Geschwindigkeit oder Physis gesegnet ist, was einen großartigen Fußballer wirklich ausmacht. Nicht nur in Borussias Mannschaft einzigartig ist sein Gefühl für die Räume zwischen den Linien, ligaweit gefürchtet die Präzision und das Timing seiner Pässe und Abschlüsse. Von Favre als Sechser geholt, wurde Stindl unter André Schubert zur falschen Neun und sammelte Saison für Saison beeindruckend konstante Scorerwerte. Sein kongenialer Partner Raffael ging, die nicht minder begabten Thuram und Embolo kamen – Stindl blieb, allen Verletzungen zum Trotz. 

Wenn er Borussia im Sommer 2023 verlässt, geht er aus einer Position der Stärke heraus. Auch hier beweist er gutes Timing. Bis zuletzt wird er als offensiver Schlüsselspieler kaum zu ersetzen gewesen sein. Die Lücke, die er am Niederrhein hinterlässt, klafft jetzt schon riesengroß. 

Der Verlust schmerzt umso mehr, weil Lars Stindl für eine der erfolgreichsten Zeiten in Borussias neuerer Geschichte steht. Der Zauber dieser nun endgültig zuendegehenden Ära, die der Capitano in seinem Abschiedsvideo – wiederum stellvertretend für viele von uns – die schönste Zeit seines Lebens nannte, lag nicht zuletzt darin, dass die ganz normalen Typen wie Stindl, Tony Jantschke, Roel Brouwers oder Patrick Herrmann als Team Außergewöhnliches leisteten. Gemeinsam machten sie Borussia von einem Abstiegskandidaten zu einem Topclub. Sie holten Ungeahntes aus sich und diesem Verein heraus, spielten, gewannen,

schossen drei Tore in Florenz,

in Frankfurt,

trafen in der Champions League gegen Manchester City,

in Glasgow,

in München,

in Köln

– und blieben doch ganz normal,

mehr oder weniger talentiert,

immer verlässlich,

immer da. 

Bis jetzt.

2 Antworten auf „Einer für Alle“

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