Für kaum jemanden war zu übersehen, dass sich nach dem 0:4 gegen Mainz auf dem Rasen etwas verändert hatte. Was diesen Pragmatismus ausmacht, erfahrt ihr hier.
Eine kommentierende Analyse von @borussiabarca

Während Borussia nach der Winterpause noch häufiger als in der Hinrunde versuchte den Gegner risikoreich anzulaufen, konzentrierte sich die Mannschaft im Heimspiel gegen den SC Freiburg auf ein konsequentes Mittelfeldpressing und positionelle Kompaktheit zwischen den Ketten.
Ist das (wie auch wir im Podcast erklärten) Zeichen eines neuen Pragmatismus‘ eines Trainers, der sich den Umständen beugen musste und seine eigene Vorstellungen hintenanstellen musste?
Borussia im 442-Pressing: Frühe Probleme
Beim 0:0 gegen Schalke versuchte Borussia den damaligen Tabellenletzten schon früh unter Druck zu setzen. Mittelstürmer (Thuram) und Zehner (Kramer) liefen die Innenverteidiger mannorientiert an.

Hierbei taten sich bereits bekannte strukturelle Probleme auf: Nicht nur ist es (durch Einbindung des Torwarts oder einen flachen Aufbau in der Kette) relativ einfach gegen Borussias erste Pressinglinie Überzahl herzustellen, auch die Sicherung des Zentrums erforderte viel Aufwand. Vor allem Weigl wurde so dazu gezwungen Risiken einzugehen, um die Lücken zu schließen. Marc und Deniz stellten in ihrer Analyse fest: „Generell waren die Fohlen auf dem Flügel in Unterzahl (3 vs. 4), wenn sie dort hoch pressten. Weigl war im Zustellungsproblem: Geht er mit Balanta hoch, oder stellt er Kral zu? Kone war um Absicherung im Zentrum, inkl. Zustellung von Krauß, der ballfern positioniert war, bemüht. Spielten sich die Schalker aus der ersten Pressinglinie frei, war die Unterzahl von Weigl und Kone gegen Balanta, Kral und Krauß schnell zu spüren.“
Die meisten Elemente in Borussias Spiel sind seit Saisonbeginn allerdings immer wieder zu beobachten: Hoch angelaufen wurde zum Beispiel nicht erst im enttäuschenden Heimspiel gegen Schalke, sondern schon im September beim gefeierten Sieg gegen Leipzig.

Strukturell unterscheidet sich Borussias in beiden Fällen kaum. Man könnte jetzt natürlich angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse auf die Einstellung verweisen, die gegen Leipzig eben gestimmt habe, während sie gegen Schalke fehlte. Wenn man sich allerdings nicht vom Ergebnis blenden lässt, dann muss man feststellen, dass der Pressingansatz auch gegen RBL nur 25 Minuten griff. Deniz kritisierte im Nachgang des 3:0-Sieges: „Die Gäste begannen erstmals Spielkontrolle im Ballbesitz auszuüben, als sie ab der 25. Minute Kampl früher im Aufbauspiel integrierten, als dieser sich zentral in die erste Linie fallen ließ und die Innenverteidiger das Spiel breit machten, sodass Kramer und Thuram weitere Wege zu schließen hatten.“
Wer sich heute also die Mühe macht und analytisch auf eines der besten Spiele Borussias unter Farke guckt, wird feststellen, dass auch in guten Phasen inhaltliche die gleichen Probleme identifizierbar waren, mit denen die Mannschaft bis heute zu kämpfen hat.
Und auch wenn es im Fußball nie um Notwendigkeiten, sondern immer nur um Wahrscheinlichkeiten geht und Borussia selbstverständlich und bewiesenermaßen auch im Angriffspressing erfolgreich sein kann: Dass die Mannschaft bei solch einem Ansatz nicht in sich ruht und früher oder später Schwächen zeigen würde, hätte eigentlich schon seit der Saison unter Adi Hütter klar sein müssen.
Das kompakte Mittelfeldpressing: Es war nie weg
Nun wäre es zu einfach zu behaupten, dass Farke bis zu #BMGSCF ohne Rücksicht auf Verluste nur sturr auf das Anlaufen im 442 gesetzt hätte und die Herangehensweise in den letzten zwei Wochen eine radikale Abkehr von allem Bisherigen darstellen würde.
Schon in München, Wolfsburg und Köpenick hat Borussia ihre Grundordnung deutlich kompakter interpretiert und sich auf ein Mittelfeldpressing konzentriert. Mit zwei vertikal wie horizontal eng gestaffelten Viererketten schloß sie das Zentrum im Raum, lockte den Gegner auf die Außen, um nur in ausgewählten Situationen mannorientiert zu attackieren.

Die Herangehensweise gegen Freiburg und Leipzig fällt also nicht vom Himmel, sondern gehört zum Instrumentarium der Mannschaft unter Daniel Farke.
Nicht zuletzt im Rückspiel gegen RBL war zu beobachten, dass es ihr so gelingt, ihre Defizite in Sachen Sprintstärke, Timing und Laufumfang zu kompensieren und so auf fast paradoxe Weise umso aktiver zu bleiben. Denn obwohl sie scheinbar vorsichtiger agiert, zwingt die Mannschaft den gegnerischen Teams ganz bewusst das auf, was den meisten Bundesligavereinen die größten Schwierigkeiten bereitet: Das aktive Spiel mit dem Ball.
Fazit: Zugeständnis oder Selbstbesinnung?
Kommen wir also zur Ausgangsfrage zurück: Ist die Abkehr vom offensiven Anlaufen ein Zugeständnis Farkes an Saisonverlauf und Leistungsfähigkeit des Kaders? Hat sich der fußballerische Idealist angesichts der vielen Gegentore letztendlich für den Pragmatismus entschieden?
Schauen wir hierzu noch einmal auf die beiden Heimspiele gegen Leipzig und Schalke – und genauer auf Borussias „zweite Linie“ im Anlaufen. Gegen RBL haben Koné und Weigl als Sechser mutig durchgeschoben und so den Raum hinter Thuram und Kramer geschlossen. Aufgrund der insgesamt höheren Positionierung der Mannschaft musste Weigl – anders als gegen Schalke – weniger Raum vor sich verteidigen. Weil die gegnerischen Sechser schon durch die hohen Außen bzw. die Spitzen Borussias in den Deckungsschatten genommen wurden, konnte Weigl sich stärker auf den Raum hinter sich konzentrieren und wurde seltener zu riskanten Entscheidungen gezwungen: „Er bemerkte, wenn sein direkter Gegenspieler (Sechser: Haidara oder Kampl) nicht anspielbar war und orientierte sich im Rückwärtsverhalten zu den angesprochenen Zehnern.“

In Spielen wie dem besprochenen gegen Schalke wiederum schob lediglich Weigl durch, um den gegnerischen Sechser zu pressen. Koné blieb zurück und sicherte das Zentrum raumorientiert.
Eine kleine Anpassung macht also einen riesigen Unterschied und verändert die Balance der gesamten Mannschaft nachhaltig.
Die Ironie hierbei ist: Die Maßnahme Koné tiefer zu positionieren diente eigentlich sogar der Risikominimierung. Denn natürlich bietet ein Anlaufen wie bei #BMGRBL dem Gegner Räume: Gelingt RBL beispielsweise die Verlagerung auf den ballfern positionierten Zehner Forsberg (siehe oben), kann dieser aufdrehen und mindestens in Gleichzahl einen Konter starten. Mit viel Können, Mut und Glück hat Borussia es zwar nicht zu solchen Situationen kommen lassen – und weil die Mannschaft zudem zu den richtigen Zeitpunkten Tore schoss, hat keiner über die strukturellen Mängel gesprochen: Wer gewinnt, ist im Recht.
Aber dass das Trainerteam das Spiel gegen den Ball in der Folge modifizierte, hatte also gute Gründe. Die Tragik liegt nun allerdings darin, dass dieser – rein theoretisch – goldene Mittelweg zwischen hohem Anlaufen und Absicherung zur Destabilisierung führte. Wieder einmal zeigte sich: Im Fußball sind inhaltliche Kompromisse selten erfolgsversprechend. Borussia war weder im Anlaufen, noch in der Kompaktheit wirklich gut. Die Spieler fühlten sich zu keinem Zeitpunkt wirklich wohl mit dem, was sie taten.
Der Idealist Farke muss sich deshalb vor allem vorwerfen lassen zu lange nach einem Mittelweg gesucht zu haben: Er war demnach nicht zu spät, sondern zu früh zu pragmatisch.
Dass er dabei vielleicht zu hohe Erwartungen an die taktischen und athletischen Fähigkeiten seiner Spieler hatte, lassen seine öffentlichen Äußerungen zumindest vermuten: Monierte er doch nicht nur einmal die fehlende Intensität gegen den Ball.
In jedem Fall hielt er sich die Option einer risikoreicheren Arbeit gegen den Ball (und damit eine Fortsetzung der Pressing-Experimente unter Rose und Hütter) lange offen – vielleicht zu lange.
Dass er sich schließlich gegen Freiburg und Leipzig aber doch dazu entschied den kompakten Ansatz zum neuen/alten Standard zu machen, muss demnach nicht als eine Entscheidung für, sondern gegen den Pragmatismus gesehen werden: Borussias Mannschaft darf sich endlich konsequent auf das besinnen, was sie kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Auch das ist ein Fortschritt auf dem Borussia-Weg.