Ein Text von Florian (@borussiabarca) und Möppi (@ maetthimoped)
Zunächst einmal: Es ist okay und vollkommen angemessen, dass wir uns freuen würden, wenn Lucien Favre zur Borussia zurückkehrt. Favre ist ein Trainer mit enormem Sachverstand, Akribie und der nötigen Besessenheit, der nicht nur zu unserem beschaulichen Verein, sondern auch zur aktuellen Mannschaft passt. Mit Favre bekäme Borussia einen Trainer mit einer Idee vom Fußball, die außergewöhnlich ist und zunehmend vom Aussterben bedroht ist.
Geduld auf dem Platz
Was zeichnet Lucien Favres Idee aber im Wesentlichen aus? Zunächst steht der Ball im Mittelpunkt. Ballbesitz ist für Favres Mannschaften ein Wert an sich. Bekannt sind Interviews, in denen Favre fehlende überragende Ballbesitzanteile seiner Mannschaften moniert. Durch die Kontrolle des Balles kontrollieren seine Mannschaften das Spiel. Favre möchte nicht – und hier sehen wir eine erste wichtige Abgrenzung zu unseren beiden letzten Trainern –, dass seine Mannschaften zu schnell den Pass in die Tiefe suchen. Seine Mannschaften werden vielmehr dazu angehalten, auf die Lücke im gegnerischen Verbund zu warten bzw. sie durch geduldiges, oft horizontales Passspiel und Tempowechsel zu provozieren. Das berühmte „Wir müssen geduldig spielen.“ meint genau das.
Auch gegen den Ball spielen Mannschaften von Favre anders als Borussia es in den letzten drei Jahren versucht hat. Zwar ist es nicht so, dass Favre passiv verteidigen lässt. Allerdings legt er durchaus stärkeren Wert auf die tiefe Verteidigung des eigenen Tores und wohltemperiertes, situatives Pressingverhalten. Favre arbeitet zum Beispiel gerne mit „Pressingfallen-Pressingfallen“, die das Pressing der gegnerischen Mannschaft zu kontern versuchen. Auch das Gegenpressing nach Ballverlust bleibt natürlich ein Element in Borussias Spiel. Die unbedingte Aktivität gegen den Ball und die prinzipielle Mannorientierung eines Adi Hütters widerspricht dem akribischen, stark choreographierten Ansatz Favres jedenfalls diametral.
Geduld auf den Rängen
Wer Favres erste Amtszeit bei der wahren Borussia mitverfolgt hat, weiß, dass der Fußball, den seine Mannschaft spielt, sowohl wunderschön als auch ziemlich sachlich sein kann. Jedenfalls sollte niemand „Vollgasfußball“ erwarten.
Vor allem sollte aber niemand erwarten, dass Borussia unter Favre ohne Rückschläge an vergangene Erfolge anknüpfen würde. Die sportliche Situation heute ist im Vergleich zu der von vor zehn Jahren besser und komplizierter zugleich.
Trotz wahrscheinlicher Abgänge würde Favre 22/23 mit einem deutlich besseren Kader arbeiten können. Auch die Stellung des Vereins ist eine andere nach Jahren des überwiegenden Erfolgs: Borussia ist eine größere Nummer geworden, konnte in die Infrastruktur investieren und bleibt für internationale Talente interessant. Zudem ist Favres Spielidee irgendwie nie verschwunden, sondern bleibender Teil der fußballerischen Identität von Borussia Mönchengladbach. Favre fände ein Feld vor, das noch von ihm selbst bestellt worden ist.
Erfolg kann aber bekanntlich auch eine Last sein. Borussia wird nicht nur medial anders wahrgenommen. Auch wir Fans haben uns daran gewöhnt, dass unser Verein zu den Vereinen mit gehobenen Ansprüchen gehört. Selbst wenn wir es besser wissen: Wir können nicht mehr dahinter zurück, dass wir vor Kurzem noch unter anderem im CL-Achtelfinale standen. Wir haben uns an solche und ähnliche Ambitionen gewöhnt, die wir nicht leichtfertig aufgeben wollen.
Auch in Favres erster Zeit in Gladbach gab es Phasen, in denen es gar nicht lief. Auch unter Favre sind wir mal „nur“ Achter geworden und haben eine Serie von neun sieglosen Spielen hingelegt. Mit solchen Dingen gilt es zu rechnen, wenn die nächste fußballerische Reform am Niederrhein eingeleitet wird. Die schnelle Rückkehr ins internationale Geschäft oder Titelchancen sollten jedenfalls nicht alleiniger Maßstab zur Beurteilung der Arbeit von Trainer, Mannschaft und sportlicher Führung sein. Vereine wie Borussia arbeiten heutzutage unter zunehmend verschärften Bedingungen: In der Bundesliga vertiefen sich finanzielle Gräben, die nicht ohne Weiteres sportlich überwunden werden können.
Wir müssen immer das Ganze sehen. Wir stehen vor einer Zeit der Entwicklung: Lucien Favre würde nicht weniger als einen alten, neuen fußballerischen Ansatz implementieren müssen. Das erfordert enorm viel Trainingsarbeit und Zeit auf dem Platz – auch Spielzeit und Wettbewerbspraxis. Dass Borussia weiterhin finanziell nicht für Abenteuer zu haben sein wird, macht die Sache nicht leichter. Favre wird stark aus dem Vorhandenen schöpfen müssen. Nicht nur das ist Herausforderung – und Chance.
Geduld im Umgang
Auch wenn der Schweizer als Taktikgenie, Verbesserer und Aufbautrainer bekannt ist, wissen wir alle wohl auch von seiner – sagen wir mal – „etwas kauzigen“ Art. Es wird viel Geduld und Durchhaltevermögen von allen Beteiligten brauchen. Roland Virkus würde ein gutes Gleichgewicht aus Zuhören und zwischen den Ohren auf Durchzug schalten brauchen. Markus Aretz (oder derjenige, der mit in den PKs sitzt) würde sich auf „sehr schwere“, „sehr sehr schwere“ und „extrem schwere Gegner“ einstellen müssen. Die Spieler würden sich darauf vorbereiten müssen vollen Gehorsam dem Spielsystem gegenüber an den Tag legen zu müssen und vielleicht sollte man einen Praktikanten mit einem Wagen ausstatten, um Favre im Fall der Fälle vom Mönchengladbacher Hauptbahnhof abzuholen. Der Franko Schweizer ist akribisch, detailversessen und daher auch nicht der einfachste Mensch im Umgang. Von ihm brauchen wir kein Biergelage mit den Journalisten oder lustige Sprüche auf den Pressekonferenzen erwarten – zumindest nicht freiwillig. Er ist kein charmanter Schönling, eher Monk als Harvey Specter, eher Mathe 8. Stunde als Wandertag. Das muss allen im und um den Verein bewusst sein – auch den Fans. Den Umgang mit dem sonderlichen Übungsleiter sehen wir gerade auf Twitter, wo viele lustige Bilder über ihn gepostet werden und seine Art auf die Schippe genommen wird. Diese Lockerheit müssen wir uns beibehalten und nicht nach zwei Monaten in unnötige Mentalitätsdiskussionen abdriften, denn wir glauben, dass die Vorteile auf dem Platz überwiegen.
Wir dürfen gespannt sein!
Lasst uns also realistisch sein! Und gleichzeitig: Lasst uns im Glauben an die Richtigkeit der Trainerentscheidung optimistisch sein!
Denn wir bei BorussiaExplained sind überzeugt: Die Entscheidung für Favre wäre die richtige! Sie erlaubt es uns wieder Vorfreude auf die Zukunft. Wir dürften wieder gespannt sein! Gespannt darauf, wie Trainer und Mannschaft zusammenarbeiten. Gespannt auf einen fußballerischen Ansatz sein, der in der Bundesliga durchaus „exotisch“ genannt werden darf. Gespannt auf das, was immer noch in uns und unserem Verein, dem „gallischen Dorf“, steckt.
Niederlagen sind allerdings Teil eines jeden Prozesses. Wer, wenn nicht wir Boruss*innen wissen das ganz genau? Wir werden auch in Zukunft nicht vor Enttäuschung und Frust geschützt sein. Aber haben wir nicht schon viel Schlimmeres erlebt? Wir sollten zeigen, was uns Fans trotz allem auszeichnet: Nicht nur Geduld, sondern Vertrauen.
Vielleicht hilft es uns also doch, wenn wir uns an die erste Zeit mit Lucien Favre erinnern: Nicht, indem wir uns an den Erfolgen, den hohen Platzierungen berauschen, sondern indem uns bewusst wird, welche großes, unverhofftes Geschenk dieser neue Fußball damals war. Niemand hat es erwartet, alle haben es genossen.
3 Antworten auf „Wir brauchen mehr Geduld!“
[…] heiß diskutiert.Der 64-Jährige Schweizer wäre ein Transfercoup für Borussia Mönchengladbach (Kommentar dazu, warum trotzdem Geduld benötigt wäre).Doch, wen würde Lucien Favre mitbringen im Stuff. Fest steht: Lucien Favre hatte nie eigene […]
Sehr guter Kommentar und alle positiven und negativen Aspekten gut zusammengefaßt . Vielleicht gibt es auch andere , jüngere und spannendere Trainer am Markt. Aber in dieser Borussia steckt immer noch soviel Favre-DNA , daß er die besten Chancen haben sollte wieder das maximum aus der Mannschaft zu kitzeln .
Außerdem sollte man auch den finanziellen Aspekt mit einbeziehen . Favre kostet keine Ablöse und bringt nicht einen ganzen Co-Trainer Stab mit , sondern akzeptiert auch die noch beim Verein sind .
Und der wichtigste Punkt für mich ist , daß Favre Spieler besser macht . Ein Reus hatte bei der wahren Borussia seinen sportlichen Höhepunkt . Nach seinem Wechsel kam es sportlich zum Stillstand . Und er wird möglicherweise auch für junge Spieler ein Argument sein zu bleiben , zu verlängern oder zu uns zu kommen .
Danke für den Artikel. Ich hoffe dass Lucien Favre wieder kommt, obwohl es sich hinauszieht mit der Bestätigung, vielleicht ist er mit 64 noch sensibler geworden? Alles mit der Borussia ist seit Max Eberls Abgang sehr unsicher, wie kompetent ist Roland Virkus? Wohl kompetent genug, falls es mit Lucien klappt, und danach das neue Team gebaut wird. Und Spiele gewinnt, und dazu noch gut spielt. Vergessen wir leider nicht das Ballgeschiebe einige male dass uns doch gelangweiligt hat unter Favre. Und wie geht es weiter in der Führungsetage mit Aretz und der neue Mann im Präsidium? Was geschiet mit der jetzigen Mannshaft? Ich war noch nie in Mönchengladbach aber Fan seit das Pokalfinale 1973 und hoffe wie immer das beste für die Nachfolger von Netzer und Kulik, die ja ausgetauscht wurden damals.
Viele Grüsse
Peter Rathmann
Kopenhagen
Dänemark